Mittwoch, 13. September 2017

Buchrezenzion "Kukolka"



Samiras früheste Kindheitserinnerungen beginnen mit ihrem Aufenthalt in einem ukrainischen Kinderheim, wo ein strenges, gewalt- und regelbetontes Regime herrscht. Sie verliert ihre beste Freundin Marina, die von einem deutschen Ehepaar adoptiert wurde. Als sie wenig später einen Brief bekommt, werden Marinas Zeilen  zum Mantra von Samira: „… Ich wünschte, du könntest bei mir sein. Ich denke, meine Eltern wollen dich bald holen. Sie haben mir sogar ein Bett mit Auszug gekauft, falls eine Freundin bei mir schlafen will….“ Die Aussicht auf ein Leben mit Marina wird für die Siebenjährige zum Lebensinhalt und gibt ihr viele Jahre lang die Kraft zum Durchhalten.
Sie flieht aus dem Heim und versucht am Bahnhof ein Zugticket nach Deutschland zu kaufen. Dort gabelt  Rocky sie auf und bringt sie in ein heruntergekommenes Haus, in welchem noch viele andere Kinder leben. Kinder, die niemand vermisst. Die folgenden Jahre sind geprägt von Betteln, Klauen, Straßenmusik, Hunger, Existenzangst, Schlägen und ersten sexuellen Erniedrigungen. Abends sammelt Rocky alle Einnahmen der Kinder ein und finanziert sich so sein mieses Zuhälterleben.
Als Samira, mittlerweile 12 Jahre alt, Dimochka kennenlernt, dämmert ihr schon längst, dass Rocky sie nie nach Deutschland ziehen lässt. Sie verliebt sich Hals über Kopf in den jungen Mann, der sie von Rocky weglotst und Samira zur Frau macht. Kurze Zeit später wird ein erster Teil ihres Traumes war. Dima bringt sie mit gefälschtem Papieren nach Berlin…
Wird sie in dieser Großstadt glücklich werden? Kann sie dort den Schmutz und die Verletzungen ihrer Kindheit loswerden? Gibt es das erhoffte Wiedersehen mit Marina? Oder zeigt Deutschland dem jungen Mädchen, dass es auch Schattenseiten zu bieten hat? Wie wird Samiras Reise enden?


Ich habe mittlerweile einige Bücher über Kinder gelesen, deren früheste Lebensjahre blanker Horror waren. Auch Kukolka macht auf erschreckende Weise deutlich, wieviel eine Kinderseele ertragen und trotzdem ihre Träume bewahren kann. Immer wieder tauchen besondere Momente kindlicher Freude auf, die den Roman so lesenswert machen. Ich konnte das Buch  kaum aus den Händen legen. Die Story wird aus der Sicht der jungen Samira geschildert, dementsprechend kindlich naiv ist die Ausdrucksweise. Trotzdem bekommt man detailliert das Elend, die Gewalt und die Abartigkeiten mit, mit denen das junge Mädchen konfrontiert wurde. Der Leser sollte damit umgehen können. Es ist keine leichte Kost und die Worte klingen nach.



Kleinigkeiten, die mir noch wichtig wurden:
Erstens: Rocky strotzt vor Klischees. Er symbolisiert den Zuhälter schlechthin, mit allem Drum und Dran. Das hat mich zu keiner Zeit gestört. Im Gegenteil, Lana Lux verpasste ihm schwache Momente und Emotionen und ich nahm ihm die Rolle im Buch ohne Schwierigkeiten ab.
Zweitens: Samiras Verhalten und ihre Ausdrucksweise würde ich eher einem älteren Mädchen zuordnen. Das zog sich bis zu letzten Seite hin. Für mich persönlich wirkte Samira durchweg 3 Jahre älter als geschildert.
Ein Drittes: Der dritte und letzte Abschnitt wirkte auf mich etwas gehetzt und zu schnell abgehandelt. Ihre Zeit in Deutschland verblasst zum Rest der Geschichte. Das Ende ist offen, aber stimmig.
Lana Lux baut gegen Ende der Geschichte eine zweite Storyline ein, Olga kreuzt Samiras Weg. Der Leser darf für kurze Momente auf deren Vergangenheit blicken. Diese kleinen Rückblenden von Olga machen meiner Meinung nach nur Sinn, wenn Kukolka fortgesetzt würde. Ansonsten sind sie total überflüssig.



Ich persönlich wäre an einer Fortsetzung interessiert. Für mich ist Samiras und Olgas Geschichte noch nicht auserzählt. Ich würde mich über ein Wiedersehen freuen.
Das Buch bekommt ganz klar die vollen Bewertungssterne und ich gebe eine Leseempfehlung.

Kukolka vermittelt einen schrecklichen, aber auch faszinierenden Blick auf Kinder am Rande der Gesellschaft, deren Schicksal kaum zu verkraften ist.    



Die Daten zum Buch:
  • 375 Seiten - Hardcover
  • Verlag: Aufbau - Verlag
  • ISBN: 978-3-351-03693-5
  • 22 Euro in allen gängigen Onlinebuchhandlungen

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